Montag, 26. Februar 2007

...

Blauer Dunst

„Wir sollten wirklich aufhören!“ – war von ungefähr der Stelle zu entnehmen, wo normalerweise der Kopf meiner Frau zu ruhen pflegt, wenn sie zu vorgerückter Abendstunde auf dem längeren Teil unserer gemütlichen Wohnzimmercouch liegt. Wenn sie ihren Kopf mit einigen Sofakissen unterlegt hat, kann sie aus dieser Position heraus bequem auf unseren Fernseher schauen. Ich gönne ihr herzlich gerne diese Bequemlichkeit, auch wenn ich mich dafür, trotz erheblich größerer Körperlänge auf dem kleineren Teil der Couch zusammenkrümmen, und meinen Kopf auf dem linken Arm abstützen muss, damit ich den Bildschirm nicht um neunzig Grad verdreht sehe. Diese Liegeposition verhindert aber den direkten Blickkontakt zu meiner Frau. Aber es war ja auch niemand anders sonst im Raum.

„Du hast Recht. Die Programme werden sowieso immer miserabler!“ – entgegnete ich in der Überzeugung, sie hätte unseren leicht angestiegenen Fernsehkonsum angesprochen.

„Programme? Wieso Programme? Wir rauchen doch beide die gleiche Marke!“

Daher also wehte der Wind, oder besser der Dunst, der sich tatsächlich in leicht kräuselnden Rauchwolken über ihr zeigte.

„Du meinst, wir sollten das Rauchen aufhören?!

„Ja, meine ich!“

„Schon wieder?“

„Was heißt ‚Schon wieder’? Ich hätte längst aufgehört, wenn Du mich nicht immer davon abhalten würdest.“

„Ich kann nicht erinnern, dass ich Dir jemals mit Gewalt eine brennende Zigarette zwischen die Zähne gesteckt, und Dich gezwungen hätte, diese zu rauchen!“

„Nein! Aber Du gibst mir keine faire Chance. Kannst du Dir vorstellen, dass ich aufhören kann, wenn Du paffend daneben sitzt?“

„Ich könnte es!“

„Ha! Dass ich nicht lache! Dann tu es doch, Du Angeber!“

„Ich will ja gar nicht aufhören. Mir macht Rauchen Spaß.“

„Es macht Dir Spaß, Deine Lunge zu verpesten? Von unserer Raumluft ganz abgesehen. Dein Geschmackssinn ist so verkümmert, dass Du nicht einmal eine Erdbeere von einer Currywurst unterscheiden kannst, Dein Auto stinkt wie ein fahrender Aschenbecher, Du hast Mundgeruch, Dein Blut sieht aus wie Altöl aus einem Traktor, morgens hustest Du erst einmal fünf Minuten, bevor Du ‚Guten Morgen’ sagen kannst, aber es macht Dir Spaß, wie?“

„– – –„

„Abgesehen davon, dass Du Monat für Monat ein Vermögen in die Luft pustest. Schon der Gedanke daran macht mich wahnsinnig. Aber meckern, wenn ich mir eine neue Bluse kaufe!“

„Du meinst also, nicht wir, sondern ich sollte aufhören, damit Du Dich jeden Monat neu einkleiden kannst?“

„Dreh mir nicht die Worte im Munde herum. Lass uns sachlich darüber reden!“

Dies Art „sachliche Gespräche“ hatten wir schon des öfteren geführt. Mit dem Ergebnis, dass wir immer entschieden hatten, baldmöglichst eine Entscheidung herbei zu führen. Nur nicht jetzt. Denn gerade jetzt ginge es nicht. Entweder, weil es gerade besonders gemütlich, oder weil noch genügend Vorrat im Hause war. Oder die berufliche Anspannung war im Moment nicht dazu angetan, sich den psychologischen Belastungen einer Entwöhnungskur auszusetzen. Denn dann braucht man den „Erwachsenen-Schnuller“ um sich zu beruhigen. Ausgenommen morgens beim Kaffee. Denn dann wirkt die genussvoll gerauchte Zigarette äußerst anregend. Oder je nach Stimmungslage. Im Winter ist sowieso die bessere Zeit, weil man da nicht so oft lüften kann. Im Sommer aber auch, weil man dann die frische Luft viel mehr genießen würde. Vom Gewohnheitsdrang ganz abgesehen. Und dann darf man nicht vergessen, dass alle entwöhnten Raucher unweigerlich zehn bis fünfzehn Kilogramm zunehmen. Also müsste das jetzt schon vorhandene Übergewicht erst abgespeckt werden. Und noch niemals hat irgend jemand eine Schlankheitskur ohne Zigaretten durchgestanden. Jedenfalls nicht, ohne ernst zu nehmende gesundheitliche Schäden davon zu tragen. Natürlich könnte man auch diese Pillen nehmen, die einem angeblich das Rauchen dergestalt verleiden, dass einem nach dem ersten Zug aus der Morgen-Zigarette speiübel wird. Nur Idioten würden eine Zigarette anstecken, wenn sie diese Folgen befürchten müssten. Wie soll man also aufhören können, wenn man sowieso nicht rauchen würde. Weil ja auch keiner so genau weiß, wann genau die Übelkeit einsetzt, und so die peinlichsten Situationen entstehen könnten. Ganz willensschwache Menschen gehen zum Hypnotiseur, der einem im Tiefschlaf einredet, man sei der militanteste Nichtraucher, und zwar schon immer! Was habe ich davon, wenn mein Unterbewusstsein glaubt, ich sei den Zigaretten abhold, die Hände aber automatisch nach denselben und dem Feuerzeug greifen?

Denn genau genommen gibt es viel mehr Gründe für das Rauchen als dagegen. Denn da wäre eigentlich nur das Gesundheitsrisiko. Aber eben keine Gewissheit. Gewissheit habe ich aber, dass mir die Zigarette schmeckt. Bis auf den faden Geschmack im Munde hinterher. Und morgens beim Aufwachen, oder wenn man einen Raucher (oder Raucherin) küsst. Und rauchen macht nachweislich gesellig. Was habe ich schon für nette Gespräche selbst im tiefsten Winter auf den Balkonen und Terrassen netter, aber nichtrauchender Freunde geführt. Und vor allem bei diversen beruflichen Reisen in die USA, einem Land, dem wir zwar den Marlboro-Cowboy und den Duft der großen weiten Welt zu verdanken haben, das aber Raucher in einem Maße ausgrenzt, als wären sie Aussätzige. Niemals werde ich das Zusammengehörigkeitsgefühl vergessen, das unweigerlich die Menschen zusammenschweißt, die zu ihrem Laster stehen, und deshalb in diversen Speiselokalen in Nebenräume mit nackten Betonwänden, Papiertischdecken (wenn überhaupt) und billigen Klappstühlen verwiesen und nicht bedient werden.

Außerdem ist Aufhören viel leichter als Anfangen. Welcher Glimmstengel-Konsument wird sich nicht an seine erste Zigarette in jugendlichem Alter erinnern. Bei mir war es im Keller eines im Bau befindlichen Einfamilienhauses, einem Rohbau also. Nachdem die Bauarbeiter Feierabend gemacht, und wir das Anwesen noch mindestens eine halbe Stunde observiert hatten, schlichen wir mit klopfendem Herzen die frisch gemauerte Treppe hinunter, besetzten die Fenster, damit feindliche Beobachter entdeckt würden, und pafften die mit fadenscheinigen Ausreden gekauften Tabakröllchen. Ein herrliches Gefühl von Freiheit, wenn der erste Hustenanfall vorüber ist, der Magen sich restlos entleert hat und man gerade eben noch verhindern konnte, dass der normale Körperausgang sich selbstständig machte. Wenn dann noch das Schwindelgefühl nachließ, war es geradezu himmlisch. Und jetzt, nur 45 Jahre später sollte man aufgeben, wofür man so hart gekämpft hat? Dann ist auch der volkswirtschaftliche Schaden zu bedenken. Tausende von Arbeitsplätzen stehen auf dem Spiel, und der Finanzminister würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er auf die Steuereinnahmen nur eines Rauchertages verzichten müsste. Und was soll der Blödsinn, dass man uns Raucher der Inkonsequenz zeiht? Natürlich könnte man den Sinn hinterfragen, wenn ein Süchtiger morgens eine Zigarette zum Anregen, und dreißig Minuten später im Berufsverkehr zur Beruhigung braucht. Und was macht die Regierung? Einerseits beschimpft sie uns als Schmarotzer, die nur die Krankenkassenkosten in die Höhe treiben, und andererseits fördern sie den Tabakanbau mit immensen Geldern aus Brüssel.

Alle diese Argumente, und sicher noch einige mehr, sollte ich jetzt mit meiner Frau diskutieren. Sachlich! Ein Widerspruch in sich, denn sie erwartete garantiert, dass ich zuerst aufhören müsse, weil ja der Mann immer mit gutem Beispiel vorangeht. Von sachlicher Diskussion also keine Rede. Entweder wir versagten uns beide den blauen Dunst, oder keiner. Basta! Außerdem widerstrebt es mir, Entscheidungen von so weitreichender Bedeutung in einer Werbepause zu fällen. Hier musste mit analytischem Verstand vorgegangen, das Für und Wider sorgsam abgewogen, die Risiken bedacht und eine Kontrolle eingebaut werden. Vielleicht sollten wir damit beginnen, den täglichen Konsum einzuschränken. Möglicherweise die tägliche Ration morgens einteilen, und von Woche zu Woche verringern. Ähnliches hatten wir schon dahingehend versucht, dass wir uns vornahmen, nur noch auf der Terrasse oder, bei schlechtem Wetter in der Küche zu rauchen. Ausgenommen, es kommt Besuch. Denn den kann man ja schlecht auf die Terrasse schicken, und dann durften wir auch. Selten wurden von uns so viele Einladungen ausgesprochen, wie in dieser Zeit. Wir hatten es sogar soweit auf die Spitze getrieben, dass wir auch dann im Wohnzimmer rauchten, wenn unsere Gäste fanatische Nichtraucher waren. Und auch, wenn gar kein Besuch da war, aber durchaus hätte kommen können. Selbst, wenn wir konsequent gewesen wären, hätten wir mehr geraucht als vorher, weil wir in jeder, aber wirklich jeder Werbepause wie von der Tarantel gestochen aufsprangen und zu den in der Küche deponierten Glimmstengeln stürzten. Früher hatten wir eher hochgeistige Gespräche geführt oder waren einfach eingeschlafen. Zappen ist bei uns weniger üblich, denn bis wir aus den vielen Fernbedienungen, die auf dem Wohnzimmertisch herumlungern, die richtige gefunden haben, ist die Werbepause vorbei.

Aber all diese Gedanken änderten nichts am Wunsch meiner Frau, nämlich abstinent zu werden. Es galt also, das weitere Gespräch tatsächlich möglichst sachlich zu führen.

„Womit begründest Du Deinen Entschluss? Abgesehen von dem, was uns die Krankenkasse immer um die Ohren schlägt!“ – versuchte ich die Diskussion vorsichtig zu eröffnen.

„Kein besonderer Grund. Ich will schon lange aufhören!“

„Wie lange genau?“

„Eigentlich von Anfang an!“

„Von welchem Anfang redest Du?“

„Frag nicht so dumm! Sei dem ich angefangen habe zu rauchen natürlich!“

„Und wie lange ist das her?“

Es folgte eine kleine Denk- und Rechenpause.

„Nun, so rund 35 Jahre!“

„Und ausgerechnet jetzt musst Du aufhören? Warum gerade jetzt und nicht schon vor zwanzig Jahren?“

„Wenn nicht jetzt, wann dann?“

Den Satz hatte sie auf irgend einer Motivationsveranstaltung aufgeschnappt.

„Und es ist Dir wirklich ernst?“

„Todernst!“

Ich griff nach beiden Schachteln, die auf dem Tisch lagen und schritt zur Tür.

„Wo willst Du damit hin?“ – wurde ich von ihr aufgehalten.

„Ich werde diese Restbestände entsorgen, und wir hören auf!“

„Was, jetzt?“

„Wenn nicht jetzt, wann dann?“

Ich gebe zu, dass sich ein ziemlich mieses Grinsen auf meine Mundwinkel schlich.

„Aber die können wir doch noch fertig rauchen!“

„Und dann stehen wir vor dem selben Problem wie jetzt.“

„Aber auf die paar kommt es doch wirklich nicht an!“

„Genau. Denn immerhin hast Du in Deinem Leben schätzungsweise...“ – für die folgende Rechnung, nämlich 35 Jahre mal 365 Tage mal 15 Zigaretten erwies sich die Speicherkapazität meines Gehirns als zu klein, und ich benötigte einen Taschenrechner.

„...191.625 Zigaretten geraucht. Da kommt es auf die letzten sieben nicht mehr an!“

„Habe ich wirklich so viel geraucht?“

„Willst du selber nachrechnen?“

„Nein, wird schon stimmen.“

Mit diesen Worten klaubte sie ihre Schachtel aus meiner Hand, entnahm eine Zigarette und steckte sie an.

„Ich habe gedacht, wir reden erst einmal darüber, wie wir das anstellen.“

„Es gibt nur eine effektive Methode: Auf einen Schlag aufhören und die kommende Woche heile überstehen. Dann ist es geschafft.“

„Woher willst du das wissen?“

„Ich habe das schon einmal durchgezogen.“ – gab ich stolz zur Kenntnis, ohne die Folgen zu bedenken.

„Du hast schon einmal aufgehört?“

„Genau!“

„Also, anfangen ist schon ziemlich hirnrissig. Aber aufhören und dann wieder anfangen, das bringen nur Idioten fertig. Warum hast Du dann wieder angefangen?“

„Weil mir danach war!“

„Und mit so einem labilen Charakter an der Seite soll ich jetzt aufhören?“

„Du hast keine andere Wahl!“

„Ich weiß genau, wie das ausgeht. Wenn ich jetzt aufhöre, wirst Du heimlich weiterrauchen und ich habe das Nachsehen.“

„Wieso Nachsehen? Erstens habe ich schon einmal bewiesen, dass ich es kann, und immerhin bist Du es, die aufhören will. Ich würde ja nur aus Loyalität mitmachen.“

„Was heißt hier Loyalität? Bist Du Dir eigentlich darüber im Klaren, welches gesundheitliche Risiko Du eingehst? Meinst Du, ich höre jetzt auf und sehe zu, wie Du dich weiter zugrunde richtest? Und ich dich später pflegen muss, weil sie Dir beide Beine abgenommen haben? Da weht also der Wind her. Du willst mich zwingen aufzuhören, damit wenigstens einer gesund bleibt und sich dann plagen muss. Wie kann man nur so hinterhältig sein!“

„Darf ich dich erinnern, dass Du aufhören wolltest?“

„Es ist immer dasselbe. Du drehst mir das Wort im Munde herum. Schieb mal den Aschenbecher rüber!“

Sie quetschte ihre aufgerauchte Kippe zwischen die schon reichlich vorhandenen Indizien unseres Lasters.

„Jetzt schau Dir diese Schweinerei an. Es ist widerlich. Geradezu abstoßend. Jetzt halt Dir das mal unter die Nase! Das ist ja ekelhaft.“

„Ich weiß, wie ein voller Aschenbecher riecht. Also, was ist: Hören wir jetzt auf oder nicht?“

Keine Antwort. Nur Schweigen und ein trauriger Blick in die sich verflüchtigenden letzten Qualmwölkchen.

Dann, nach einigem Nachsinnen und mit steilen Falten auf der schönen Stirn:

„Das kann ich heute nicht entscheiden. Du hast es wieder mal geschafft, mich so aufzuregen, das ich nicht mehr richtig denken kann. Wir reden morgen.... nein, wir reden am Freitag darüber und am Wochenende ist Schluss. Endgültig. Und komm mir nicht wieder mit Ausreden!“

Recht hatte sie. Am Wochenende würden wir gemeinsam unsere letzte Zigarette rauchen und dann aufhören. Vielleicht sollten wir Vorträge halten über konsequentes Nichtrauchen. Immerhin haben wir auch eine Verantwortung unseren Mitmenschen gegenüber. Besonders denen, die nicht so entschlussfreudig und charakterfest sind und Hilfe brauchen. Aber bis zum Wochenende ist ja noch so viel Zeit....!
© Erwin Grab


Wie „Mann“ einen Anzug kauft"

Du brauchst einen neuen Anzug!" – sagte meine Frau. Nein, befahl sie. Denn sich einer solchen Feststellung zu widersetzen, heißt mit dem Feuer zu spielen. Kindheitstraumata wurden schlagartig in mir wach. Denn wenn meine Mutter in ein Kaufhaus ging, hatte ich mitzugehen, obwohl ich keine Scheibe eingeschmissen hatte, alle Hausaufgaben erledigt waren und auch sonst keine Verfehlungen der Strafe harrten. Es war ein Kommunikationsproblem, denn sie, meine Mutter war der Meinung, es würde mir Vergnügen bereiten, durch endlose Gänge gezerrt, vor – zurück – vor – vor – zurück, über die aktuellen Preise von Herrenunterwäsche in Kenntnis gesetzt zu werden, und schließlich an irgendeinem Wühltische verloren zu gehen.

"Schön haben wir beide heute eingekauft!" – war der abschließende Kommentar, wenn wir uns mit zerknautschten Einkaufstüten ("Sei vorsichtig damit, du Trampel!") in die überfüllte Straßenbahn zwängten und fix und fertig – jedenfalls ich – zu Hause ankamen.

Kaum ist man verheiratet, geht es weiter. Denn eigenartigerweise sind alle Ehefrauen der Meinung, mit der Unterschrift unter die Heiratsurkunde würden Männer nicht nur aller Menschenrechte, sondern auch des Vermögens, sich allein und unbeeinflusst einzukleiden, verlustig gehen. Es liegt nur daran, dass ich keinen Geschmack habe. Sagt sie. Und ohne ihren fachmännischen Rat entweder wie ein Penner oder wie ein herausgeputzter Gockel herumlaufen. Ich persönlich bin ein Freund schneller Entschlüsse. In ein Geschäft gehen, herumschauen, etwas sehen was mir gefällt, anprobieren um zu sehen ob es passt, und die ganze Angelegenheit ist erledigt. Wenn mir etwas gefällt und auch noch passt, sehe ich nicht den geringsten Grund, den Rest des Geschäftes zu durchforsten, nur um kennen zu lernen, was mir nicht gefällt und wahrscheinlich auch nicht passt.

Anders meine Frau. man kauft keinen Anzug, bevor man nicht vierzig oder fünfzig begutachtet und anprobiert hat. Ich sagte alle für den Tag geplanten Termine ab, nahm folgsam ihre Hand und ließ mich durch die Tür der großartig ausgestatteten Filiale einer allseits bekannten Textilmarktkette führen. Die Herrenabteilung fanden wir ohne fremde Hilfe und fanden uns mit mehreren Reihen aufgehängter Hosen, Sakkos und kompletter Anzüge konfrontiert.

Mir stach auf den ersten Blick eine Kombination ins Auge, mit der ich mich zukünftig zu kleiden gedachte. Gegen den Protest meiner Frau, sie würde damit nicht mit mir auf die Straße gehen, nahm ich Jacke und Hose von der Stange um anzuprobieren. Die videoüberwachte Umkleidekabine fand ich gleich hinter der Herrentoilette, und hatte sehr schnell festgestellt, dass das Sakko wie für mich geschaffen war, die Hose aber leider nicht. Ich benötige eine sogenannte Zwischengröße. Mit zunehmendem Alter nahm auch mein Gürtelumfang zu. Jetzt benötige ich in der Länge Größe 50, in der Breite aber 54. Ein gnädig gestimmtes Schicksal kreierte die Zwischengröße 25. Diese Hose war 50, also zu eng. Ich benötigte Hilfe in Form einer auskunftsfreudigen und sachkundigen Verkaufskraft.

Der Service in diesen Häusern ist ausgezeichnet. Man wird von keinem Menschen gestört oder in seiner Wahl beeinflusst. Auch dann nicht, wenn man fachmännischen Rat braucht oder etwas sucht, aber Erfahrung macht klug. Das Verkaufspersonal lungert in der Regel an irgendeiner Kasse zusammengerottet herum und diskutiert das Liebesleben von Boris Becker. Es ist nicht einfach, eine Gesprächspause zu erwischen, denn ohne die gibt es keine Chance.

"Können Sie nicht warten, bis Sie an der Reihe sind? Ich muss erst diesen Kunden beraten!"

Es ist kein einziger Kunde in der Nähe, der beraten werden könnte, weil sich außer mir keiner traut. Aber ich hatte das erste Erfolgserlebnis bereits zu verbuchen: Ich hatte eine Verkäuferin gefunden. Nachdem ich höflich – sehr höflich – um fachmännischen Rat gebeten hatte, ließ sich die Fachkraft, nicht ohne mir mit einem entsprechenden Augenaufschlag, verbunden mit einem tiefen Seufzen ihr Missfallen auszudrücken tatsächlich herab, mir zur Herrenabteilung zu folgen.

"Was gibt es denn?"

Diese Fragestellung besteht nur aus vier Worten, bedeutet im Klartext aber so viel wie:

"Wie kann man nur so blöde sein, sich hier nicht auszukennen? Also stell schon Deine infantile Frage, Du Idiot, damit ich Dir meine Verachtung ausdrücken kann."

"Ich habe ohne fremde Hilfe eine Kombination gefunden, die mir gefällt. Aber die Hose passt nicht. Ist es möglich, diese in Größe 25 zu bekommen?"

"Nein!" – lautete die sofortige schnelle Antwort. So sprach sie, drehte sich um, und strebte wieder der Kasse und den schon ungeduldig wartenden Kolleginnen zu. .Sie hatte die fragliche Hose mit keinem Blick gestreift und musste meinem Mienenspiel entnommen haben, um welchen Artikel es sich hier handelte. Diese Verkäuferinnen sind hochspezialisiert und sollten deshalb nicht von den Höhepunkten ihrer geistigen Schaffensprozesse heruntergeholt werden. Ich versuchte es trotzdem, bereitete diese Attacke aber dahingehend vor, dass ich meine wohlgefüllte Geldbörse und zwei gültige Kreditkarten vorwies. Beides sollte mich als kaufwilligen und zahlungskräftigen Kunden legitimieren, der nichts anderes wollte, als all dies Geld in diesem Geschäft zu lassen, um damit der sonst drohenden Arbeitslosigkeit auch dieser Verkäuferin entgegenzuwirken. Diese hier war gut versichert, und blieb erst stehen, als ich mich in einem engen Gang zwischen Hemden und Büstenhaltern so vor sie hinstellte, dass kein Vorbeikommen möglich war.

"Ich bin festen Willens und auch in der Lage, hier in diesem Geschäft Geld auszugeben für ein passendes Beinkleid. Bitte, geben Sie mir eine faire Chance!" – und entschuldigte mich gleich danach für diese Unverfrorenheit.

Meine Tränen waren es schließlich, die eine gütige Saite in ihrem Herzen zum Klingen brachte.

"Man müsste im Lager anrufen, aber ich weiß die Nummer nicht!"

"Kein Problem, ich helfe Ihnen!" – erbot ich mich und scheuchte sofort alle anderen verzweifelten Kunden zur Seite, um ihr freies Geleit zu ermöglichen. Dies war meine Verkäuferin. Ich hatte sie mit harter Arbeit erobern können, und war nicht gewillt, sie freiwillig wieder herzugeben.

Unter den Wintermänteln saß ein männlicher Kunde, dessen stoppeliges Kinn darauf schließen ließ, dass er bereits mehrere Tag hier war, und sich vielleicht auskannte. Er erbot sich sofort, mich zum nächsten Telefon zu führen und wusste auch die Rufnummer der Zentrale, die mich mit dem Lager verband. Mein Anliegen konnte nicht sofort bearbeitet werden, weil ich die Artikelnummer nicht auswendig wusste. Jetzt war meine Verkäuferin eine große Hilfe, die mit lauter Stimme meine Frau nebst der Hose herbeizitierte. Glücklicherweise kam diese im Laufschritt. Nicht auszudenken, dass wir die Perle vielleicht verärgert hätten. Nun waren wir auch in der Lage, die Artikelnummer selber herauszufinden. Man lernt schnell, wenn man die richtige fachkundige Anleitung hat. Eine kurze Kontrolle in der Computerdatei ergab, dass meine gewünschte Größe lieferbar sei, aber wegen Überlastung des Lagerpersonals nicht aus dem Keller hochgebracht werden könnte. Als ob wir das nicht auch selber könnten. Fas war ich empört. Ich bat meine entzückende Helferin, sich auf einem Stuhl, den meine Frau vorsorglich hergeschleppt hatte von der Strapaze zu erholen und sich nicht vom Fleck zu rühren. Um Zeit zu sparen – Verkäuferinnen, jedenfalls die guten sind horrend teuer – verschmähte ich den Lift und sprang schnell die Treppen hinunter. Es waren ja nur fünf Etagen. Im Lager angekommen, berief ich mich auf die freundliche Fürbitte unseres Engels und bekam die fragliche Hose ausgeliefert, nachdem ich glaubhaft versichert hatte, diese auf dem Rückweg nicht zu verknittern. Der Ärger der zuständigen Verkäuferin wäre sonst nicht mehr abzuwenden.

Mit hängender Zunge kam ich wieder in der Herrenabteilung an, wo meine Frau gerade dabei war, unserer Lebensretterin Kaffee zu servieren. Man muss diese gestressten Mitarbeiter ab und zu auch verwöhnen. Viele Kunden bedenken das nicht und wundern sich dann, dass sie nicht zum Zuge kommen. Wir hatten unsere Lektion jedenfalls gelernt, warteten geduldig, bis sich Frau Schmalzig erfrischt hatte. Verkäuferinnen tragen oft mit nicht geringem Stolz ein Namensschild, was darauf schließen lässt, dass sie auch mit diesem ihrem Namen angesprochen werden wollen, und es keine schlimmere Beleidigung gibt als nur "Frollein!" – oder sogar "Können sie mir helfen?" zu stammeln. Menschen die sich so vergessen, beweisen nur ihre schlechte Kinderstube oder ihre mangelnden Erfahrungen mit dem sprichwörtlichen deutschen Dienst am Kunden.

Selbstverständlich nahmen wir Frau Schmalzig das Tragen zur Kasse ab, entfernten brav das Preisschild und legten alles ordentlich zusammen. Kassiererinnen sind weniger dazu da, Geld entgegenzunehmen als vielmehr zu kontrollieren, dass die Kunden sich hausgerecht benehmen. Dankenswerterweise dirigierte Frau Schmalzig unsere Handlungen mit hilfreichen Blicken und Augenaufschlägen, so dass wir ohne Beanstandung bezahlen durften Zum Abschluss schob meine Frau alles vorsichtig in die freundlicherweise bereitgelegte Tüte. Auch ohne ihren mahnenden Blick hätte ich es nicht versäumt, Frau Schmalzig mit einem ordentlichen Trinkgeld für ihre aufopferungsvolle Hilfe zu danken. Was hätten wir ohne sie gemacht?
© Erwin Grab

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